SCHIEDSRICHTERGRUPPE BAD MERGENTHEIM
18. Februar 2019 | Elias Hörner

Es ist vor allem die "Mittelschicht", die fehlt

Artikel von: Paul v. Brandenstein, Claus Schmitt und Klaus T. Mende
Dem Schiedsrichtermangel begegnen: Die Fränkischen Nachrichten sprachen mit den Verantwortlichen vom Verband und den Obmännern der Schiedsrichtervereinigungen und -gruppen der Region (von links): Julian Scheidel (Mergentheim), Felix Beuchert (Buchen), Manfred Semmler (Tauberbischofsheim), BFV-Vizepräsident Rüdiger Heiß und der Leiterin der BFV-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Annette Kaul.

Jedes Fußballspiel braucht einen Schiedsrichter. Doch längst ist nichtmehr gewährleistet, dass auf jedem Spielfeld der Region am Wochenende auch tatsächlich ein Unparteiischer mit einer Pfeife steht. Schiedsrichtermangel ein Problem, das immer dringlicher wird. Inden Fußballkreisen Buchen undTauberbischofsheim kam es zum Jahresende schon zum einen oderanderen Spielausfall. Woran liegt es, dass Spiele nicht mehr besetzt werden können? Und vor allem: Wie lässt sich dieser Trendstoppen? Diese Fragen wollten die Fränkischen Nachrichten beantwortet wissen und tauschten sich mit kompetenten Gesprächspartnern im Frankoniahaus in Tauberbischofsheimaus: BFV-Vizepräsident Rüdiger Heiß, zuständig für den gesamten Spielbetrieb im Fußballverband, und die Obmänner der Schiedsrichtervereinigungen und -gruppen der Region, Manfred Semmler (Tauberbischofsheim), Felix Beuchert (Buchen) und Julian Scheidel (Mergentheim).

Herr Heiß, in jüngster Vergangenheit sind im Bereich des Badischen Fußballverbands vermehrt Spiele ausgefallen, weil nicht genug Schiedsrichter zur Verfügung stehen. Wie soll dieser Trend gestoppt werden?

Rüdinger Heiß: Indem wir die Anzahlan Schiedsrichtern erhöhen. Diesgelingt mit guter Ausbildung und guter Lobbyarbeit für sie. Zudem mussdem Schiedsrichterwesen in den Vereinen mehr Wertschätzung entgegengebracht werden. Weiterhinmüssen wir für mehr Transparenz sorgen, damit der Verein weiß, wannder Schiedsrichter im Einsatz ist, waser macht. Das Ganze geht nur gemeinsam. Dies ist nicht nur eine Aufgabe des Verbands, hierbei sindauch die Kreise, die Vereine, die mediale Begleitung wichtig, da sitzen alle in einem Boot. Daher sind wiraktuell in einem intensiven konstruktiven Austausch mit den Vereinen, woraus konkrete Maßnahmen entstehen werden.

Herr Scheidel, wie gestaltet sich die Lage derzeit im Bereich der Schiedsrichtergruppe Mergentheim?

Julian Scheidel: Wir haben viele junge Schiedsrichter unter 23 Jahren, und wir haben relativ viele erfahrenere. Doch die Mittelschicht zwischen 30 und 45 fehlt. Wir sind nochin der glücklichen Situation, dass wir genug Schiedsrichter haben, auch deshalb, weil immer mehr Vereinewegbrechen und es mehr Spielgemeinschaften gibt. Deshalb können wir auch viele Spiele der Gruppen Tauberbischofsheim, Kitzingen, Ochsenfurt oder Crailsheim übernehmen. Was aber auffällt: Wir haben in den letzten zwei Jahren knapp 30 Unparteiische ausgebildet, dochdie Anzahl an Schiedsrichtern ist immer noch konstant. Einer guten Ausbildungsquote in den letzten Jahren steht eine sehr schlechte Haltungsquote gegenüber. Die Ausbildung geht in die richtige Richtung; wir haben beim kommenden Neulingskurs auch wieder sieben, acht Leute dabei. Es muss das Ziel sein, die Schiedsrichter zu halten, vor allem in den ersten zwei, drei Jahren. Wenn dies gelingt, sind sie in der Regel auch sieben, acht, neun oder zehn Jahre dabei.

Herr Beuchert, der Fußballkreis Buchen hatte zuletzt vor allem inden untersten Klassen unter dem Schiedsrichtermangel zu leiden. Ist kurzfristig mit einer Entspannung zu rechnen?

Felix Beuchert: Eine kurzfristige Entspannung aus den eigenen Reihen ist überhaupt nicht möglich, weil wir auf dem Zahnfleisch gehen. Wir haben viel zu wenige Schiedsrichter, vor dem Hintergrund, dass wir deutlich mehr Spiele haben. Unsere Gruppe hat viele junge, die für den Spielbetrieb verfügbar sind, so lange sie noch in der Schule sind. Wenn sie eine Ausbildung oder ein Studium beginnen, sind sie auch für uns verloren. Den Spielbetrieb können wir allein überhaupt nicht mehr stemmen. Hier sind wir komplett auf Hilfe von außen angewiesen, vor allem durch die Gruppe Kocher/Jagst, die ein Übersoll an Referees hat. Die Unterschiede sind im Übrigen lokal bedingt. In Kocher/Jagst gibt es viele Ballungsräume mit großen Arbeitgebern, dort sind die Leute sesshaft. Landflucht gibt es dort nicht, dies ist bei uns in Buchen aber extrem.

Herr Semmler, wohin führt der Weg im Fußballkreis Tauberbischofsheim?

Manfred Semmler: Ich kann mich meinen Kollegen nur anschließen. Auch wir haben eine hohe Zahl an jungen Schiedsrichtern zwischen zwölf und 20 Jahren, dann wieder eine hohe Zahl von 50 bis Open End. In der Altersgruppe zwischen 20 und 30 gehts noch, aber zwischen 30 und 50 haben wir nur vier Schiedsrichter. Das sind Kollegen, die über lange Zeit dabei bleiben und genau solche Schiedsrichter fehlen uns.

Worin sehen Sie die Wurzel des Übels?

Semmler: Bei uns melden sich genug Neulinge für einen Kurs an, jetzt sind es wieder zwölf. Davon ist nur ein einziger über 20, das ist das Kernproblem. Nicht falsch verstehen, wir freuen uns über die Jungen sehr, aber wir müssen sie langsam und verantwortungsbewusst an den Spielbetrieb heranführen, das dauert seine Zeit.

Beuchert: Das ist vielschichtig. Ich bin Anfang 30 und da hat man auch andere Verpflichtungen im Leben, Job, Familie. Dies unter einen Hut zu bringen, wird immer schwieriger. Ich etwa bin Schiedsrichter, zugleich aber Funktionär. Man hat immer mehr Verpflichtungen, die Freizeit als solche wird immer knapper. Deswegen muss jeder für sich selbst überlegen, in welchem Maße er das alles noch ausführen möchte.

Scheidel: Das Thema gesellschaftlicher Wandel spielt hierbei eine Rolle. Vor allem junge Leute machen stets das, was gerade "in" ist. Es wird zunehmend schwieriger, die Leute über einen langen Zeitraum zu halten, nicht nur im Schiedsrichterwesen, sondern auch in anderen Bereichen. Dies ist auch in den Vereinen zu beobachten. Es gibt nicht mehr jene, die bei den Bambini anfangen und bis zu den Aktiven im Verein alles durchlaufen. Sie sind ein paar Jahre dabei, dann vorerst wieder raus, ehe sie vielleicht wieder dazukommen. Dies ist ein großer Punkt, warum auch im Schiedsrichterbereich die Situation so angespannt ist.

Heiß: Ich sehe das wie Herr Scheidel. Das nicht mehr stabile Freizeitverhalten und die nicht mehr ständige Verfügbarkeit, was heute mit Freiheit beschrieben wird, stellt in Sachen Kontinuität ein großes Problem dar. Semmler: Was hatten wir früher im Dorf? Einen Sportverein, einen Musikverein, die Feuerwehr. Heute ist jeder mit 16 schon motorisiert und kommt raus. Bei uns gab es nur Fußball, jeder ist nach der Schule auf den Bolzplatz gegangen. Das Verhalten hat sich verändert, es gibt heute viel mehr Angebote auch in den einzelnen Vereinen selbst.

Der Umgangston, das Miteinander, scheint allgemein und auch auf dem Platz rauer geworden zu sein. Woran liegt das? Wie kann man dagegen effektiv etwas tun?

Heiß: Es ist nicht nur im Fußball so, dass der Umgangston rauer geworden ist. Tatsächlich haben wir aber gerade in den ländlichen Kreisen wie Tauberbischofsheim und Buchen kaum bis gar keine Probleme. Nichtsdestotrotz haben wir mit dem FairPlay-Konzept selbstFAIRständlich genau hierfür Maßnahmen entwickelt. Sie zielen einerseits auf Prävention von Konflikten ab, andererseits auf ein wertschätzendes Miteinander, besonders den Schiedsrichtern gegenüber.

Wie könnte die Patentlösung aussehen, um die Entwicklung umzukehren?

Semmler: Eine Patentlösung gibt es nicht.

Heiß: Entscheidend ist die Ausbildung und dass wir es schaffen, die Jugendlichen ans Schiedsrichterwesen zu binden. Ein Weg ist da ganz klar die Schule, in die wir verstärkt reinkommen müssen. Und auch die Vereine müssen wir erreichen, damit sie sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Ziel muss es sein, mit unseren Vereinen und Partnern zusammen Lobbyarbeit en masse zu betreiben, damit das Schiedsrichterwesen jene Wertigkeit bekommt, die es verdient.

Scheidel: Innerhalb des WFV läuft gerade das Thema Kinderschiedsrichter an. In unserem Verband liegt das Mindestalter für einen Kurs bei 14 Jahren. Jetzt gibt es bei uns Überlegungen, bereits Elf- und Zwölfjährige in einem Crashkurs auszubilden und im Anschluss E- und D-Juniorenspiele des Heimatvereins pfeifen zu lassen. So werden sie herangeführt. Dabei zeigt es sich auch, ob es ihnen Spaß macht. Wenn dies der Fall ist, starten sie in die "richtige" Karriere als Schiedsrichter. Wenn sie vorher bereits Erfahrungen gesammelt haben und es ihnen Freude bereitet, bleiben sie dann auch eher bei der Sache. Einige Schiedsrichtergruppen haben dies zuletzt ausprobiert, teilweise mit gutem Erfolg.

Ein Ansatzpunkt wäre eine bessere Bezahlung der Unparteiischen an der Basis. Eine Forderung, die Sie teilen?

Semmler: Wenn es mehr Geld gäbe, sagen wir nicht Nein. Ein Anreiz wäre es auf jeden Fall. Aber nur wegen des Geldes pfeifen, das sollte man auch nicht machen.

Viele Vereine verfehlen das Schiedsrichter-Soll zum Teil deutlich. Wie könnten Sanktionen aussehen?

Heiß: Wenn Sie jetzt speziell einen möglichen Punktabzug ansprechen, diesen Weg wollen wir in Baden nicht gehen.

Semmler: Ich bin davon ein absoluter Gegner. Hierdurch werden Fußballspieler bestraft, die eventuell die ganze Runde über gekämpft haben, um aufzusteigen. Sie werden am Ende der Runde mit Punktabzug sanktioniert, weil ihr Verein nicht in der Lage ist, das Schiedsrichtersoll zu erfüllen. Das ist der falsche Weg.

Beuchert: Wir sollten darüber nachdenken, statt eines Bestrafungssystems ein Belohnungssystem einzuführen. Vereinen, die das Soll über erfüllen, sollte man entgegenkommen und das honorieren.

Wäre das ein möglicher Weg?

Heiß: Über diesen Weg haben wir mit den Vereinen bei den Vorstandstreffs intensiv gesprochen, das wäre absolut denkbar. Zudem werden wir das Thema Schiedsrichtersoll transparenter machen und so die Kommunikation mit den Vereinen verbessern. Und was mir noch ganz wichtig wäre: die weiblichen Schiedsrichter nicht zu vergessen. Bei den Frauen ist sehr viel Potenzial vorhanden.

Hat der BFV denn Sofortmaßnahmen in der Schublade, damit sich die Situation gerade in Tauberbischofsheim und Buchen verbessern könnte? Und welche Forderungen hat der BFV an den DFB?

Heiß: Sofortmaßnahmen haben wir keine in der Schublade, die hätten wir sonst längst angewendet. Wir können nur im Dialog mit den Vereinen langfristig Lösungen finden. Und die Bitte an den DFB wäre, die Lobbyarbeit in Sachen Schiedsrichterwesen voranzutreiben.

Wie könnte diese Lobbyarbeit konkret aussehen?

Heiß: Es müsste etwa vor Länderspielen im Fernsehen nicht ausschließlich Bierwerbung laufen, es könnte auch ein Trailer über die Schiedsrichter gezeigt werden. Es gab die Kampagne "Unsere Amateure, echte Profis", auf diese Art könnte auch eine Schiedsrichterkampagne aufgezogen werden.

Wie würden Sie einem jungen Fußballer schmackhaft machen, eine Laufbahn als Schiedsrichter zu starten? Was würden Sie ihm sagen?

Beuchert: Das ist eine unheimlich tolle Tätigkeit, die vor allem viele Vorteile im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung bietet, was später auch bei potenziellen Arbeitgebern extrem gut ankommt.

Semmler: Sportliche Betätigung, Gruppendynamik, eigene Programme erstellen.

Scheidel: Persönlichkeitsentwicklung und Selbstvertrauen für den Job und fürs Leben.

Semmler: Dies steht ganz oben.

Heiß: Als Schiedsrichter übernimmt man Verantwortung und führt ein sinnvolles Hobby aus. Dass die Jungs und Mädels für sich selbst dabei ganz viel rausziehen, ist immer wieder die Rückmeldung. Auch der Teamgedanke spielt eine große Rolle. Ein Verein funktioniert ja auch, weil er in seinen Spielern eine Truppe hat, in der alle zusammenhalten. So ist das auch bei den Schiedsrichtern.

Semmler: Wir machen jedes Jahr mit den jungen Neulingen ein Trainingswochenende. Hierdurch entsteht eine wahnsinnige Gruppendynamik. Die, die hier dabei waren, bleiben uns alle erhalten.

Was tun, wenn der "Unparteiische" nicht erscheint

  • Tritt bei einem Spiel der eingeteilte Schiedsrichter zur festgesetzten Zeit nicht an, müssen sich die Vereine ernstlich bemühen, einen anderen Schiedsrichter zu finden. Sofern das Bemühen erfolglos ist, müssen beide Mannschaften bis zum Ende der ersten Halbzeit abwarten, ob der eingeteilte Schiedsrichter noch kommt.
  • Beim Ausbleiben oder bei einem Ausfall des amtierenden Schiedsrichters aus gesundheitlichen Gründen darf ein geprüfter, neutraler Schiedsrichter, der sich zur Spielleitung vor Ort zur Verfügung stellt und mindestens die Qualifikation für die zweittiefere Klasse besitzt, von keiner Seite abgelehnt werden.
  • Auch dann gilt das Spiel als Pflichtspiel, wenn sich die Vereine auf einen nicht neutralen oder nicht anerkannten Schiedsrichter einigen können. Kommt keine Einigung zustande, kann ein Freundschaftsspiel ausgetragen werden.
  • Entsteht durch das Nichtantreten eines Schiedsrichters ein Schaden, kann bei Vorliegen eines Verschuldens sowohl der Schiedsrichter als auch jeder Verein ganz oder teilweise zum Ersatz der entstandenen Auslagen herangezogen werden.

Der Weg zum "Schiri"

Die Schiedsrichtervereinigung Tauberbischofsheim startet ihren nächsten Schiedsrichter Neulingskurs mit einem Infoabend am Mittwoch, 20. März, um 19 Uhr im Sportheim des TSV Tauberbischofsheim. Interessierte können sich bei Obmann Manfred Semmler unter semmler.tbb(at)tonline.de anmelden. Die Schiedsrichtergruppe Mergentheim startet im März zusammen mit ihren Kollegen aus Crailsheim einen Neulingskurs, der abwechselnd in Niederstetten und Blaufelden an acht Terminen stattfinden wird, wobei die Prüfung für Samstag, 6. April, anberaumt ist. Los geht?s am Mittwoch, 27. Februar, um 18.30 Uhr mit einem Infoabend im Sportheim des TV Niederstetten. Anmeldungen sind über das Kontaktformular der SRG Mergentheim möglich.