SCHIEDSRICHTERGRUPPE BAD MERGENTHEIM
15. Mai 2019 | Matthias Becker (FN)

Benefizevent mit Bibiana Steinhaus und Lutz Wagner

Empathisch, aber konsequent

Hertha BSC Berlin empfängt am dritten Spieltag der Saison 2017/18 den SV Werder Bremen. Was nach einer ganz normalen Bundesligapartie klingt, hat doch etwas Historisches. Dabei geht es nicht um die beiden Mannschaften, sondern um das Schiedsrichtergespann. Zum ersten Mal in der Geschichte soll eine Frau eine Partie in der höchsten deutschen Spielklasse leiten. Bibiana Steinhaus meistert ihr Debüt problemlos, beim Tor zum 1:0 lässt sie eine Vorteilssituation richtigerweise laufen und erhält dafür ein Lob für Schiedsrichter-Chef Lutz-Michael Fröhlich. Gut anderthalb Jahre später stand Steinhaus am Mittwoch, 15. Mai, in der Igersheimer Erlenbachhalle und sprach über ihren Werdegang, aber auch über aktuelle Themen wie den Videoassistenten. Beim Benefizevent (über die Spendenabgabe berichten wir gesondert), dessen Erlös mehreren sozialen Einrichtungen zugute kommt, "assistierten" ihr die beiden ehemaligen Bundesligaschiedsrichter Lutz Wagner und Knut Kircher. Initiiert wurde die Veranstaltung vom 1. FC Igersheim, der Schiedsrichtergruppe Bad Mergentheim sowie FN-Redakteur Klaus Mende. Als "überwältigend und aufregend" beschrieb Steinhaus den Tag, an dem sie erfuhr, dass sie erstmals ein Bundesligaspiel pfeifen dürfe. Inzwischen kommt die 40-Jährige, die in der Nähe von Hannover lebt, auf 15 Erstligapartien als Hauptschiedsrichterin, zudem wird sie regelmäßig als Videoassistentin oder als "vierte Offizielle" berufen. Ihren 16. Einsatz wird Steinhaus schon morgen Nachmittag bekommen, wenn Schalke 04 auf den VfB Stuttgart trifft. An der Entscheidung im Titelrennen ist die Schiedsrichterin also nicht beteiligt, dennoch wollte sie keine Prognose abgeben, wer die Meisterschale holen wird.

Wenn ich ins Stadion gehe, dann beobachte ich nur meine Kollegen.
BIBIANA STEINHAUS

Dass die Reise als Referee bis in die Bundesliga führt, war für Steinhaus lange Zeit gar kein Ziel. Als Spielerin habe es nicht gereicht, höherklassig zu spielen, weshalb sie bald in die Schiedsrichterlaufbahn wechselte. Ab hier fand ein "Prozess über Jahre" statt, bei dem sie sich stetig für höhere Ligen empfahl.

Ehrgeiz und Perfektionismus

"Geradlinigkeit, Konsequenz und Durchsetzungsvermögen" seien ihre Stärken. "Ich kündige nichts an, was ich nicht auch bereit bin umzusetzen".

Empathie ist ihre herausragende Eigenschaft.
LUTZ WAGNER ÜBER BIBIANA STEINHAUS

Steinhaus könne sich demnach gut in Spieler hineinversetzen und auf dieser Basis sowohl richtige, als auch feinfühlige Entscheidungen treffen. Wenn man Bibiana Steinhaus zuhörte, fiel auf, dass sie in ihrer Schiedsrichtertätigkeit sehr ehrgeizig und perfektionistisch ist. "100 Prozent korrekte Entscheidungen sind mein Ziel. Fehlentscheidungen sind schmerzhaft und ärgern mich." Auch im Nachhinein denkt sie noch über ihre "Pfiffe" nach und fragt sich: "Wenn ich eine zweite Chance hätte, würde ich genauso entscheiden? Was hätte ich vielleicht anders machen sollen?" Ansonsten gilt für Schiedsrichter oft, kritische Situationen zu meistern. Der Umgangston sei ihr gegenüber in der Regel positiv. Falls es doch mal rauer werde, gelte: "Ruhe bewahren, durchatmen und sich einen Überblick verschaffen. Hektische Entscheidungen sind nie besonders glaubhaft."

10.000 Euro an Spenden für den guten Zweck

Den Artikel zur Spendenübergabe finden sie hier

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Benefizevent mit Bibiana Steinhaus [1/16], Bild von den Fränkischen Nachrichten

"Umgangston verbessern"

Seit Wochen und Monaten sorgt der Videoassistent, der zur Saison 2017/ 18 in der Bundesliga eingeführt wurde, für heftige Diskussionen bei den Fußball-Fans. Dass selbst nach der Analyse von verschiedenen Perspektiven immer noch Fehlentscheidungen beziehungsweise uneinheitliche Entscheidungen getroffen werden, bringt viel Gesprächsstoff. In Igersheim befanden Bibiana Steinhaus, Lutz Wagner und Knut Kircher nun, dass die massive Kritik zu Unrecht aufgekommen sei.

Auch der Videoassistent kann nicht zu 100 Prozent Gerechtigkeit führen.
KNUT KIRCHER

Wagner ergänzte, dass der Videoassistent in Deutschland eigentlich sehr gut funktioniere: "Wir dürfen nicht nur auf die Fehler schauen, sondern auf das, was richtig entschieden wurde." Nur "acht bis neun falsche Entscheidungen" in dieser Saison seien eine gute Quote in Anbetracht der vielen richtigen Urteile und der noch häufigeren stillen Eingriffe, die die Zuschauer nicht mitbekämen. Der Schein, dass oft falsche Entscheidungen getroffen werden, rührt laut Wagner daher, dass in der Bundesliga eine "größere Betroffenheit" herrsche, wenn zum Beispiel der Lieblingsverein (scheinbar) benachteiligt wird. Steinhaus, die direkte Erfahrung mit dem Videoassistent gesammelt hat, bezeichnete es als ein "gutes Gefühl zu wissen, dass man Unterstützung hat".

Schiedsrichtermangel

Rund 72 000 Spiele finden pro Woche in Deutschland statt, jedoch nur etwa 60 000 Schiedsrichter sind registriert. Das Nachwuchsproblem unter den Referees ist laut Kircher nicht nur mit höheren Bezahlungen zu lösen. Vielmehr müsse Schiedsrichtern, die sowohl in Profiligen als auch auf Amateurebene häufig in der Kritik stünden, wieder mehr Respekt und ein besserer Umgangston entgegengebracht werden. Sie haben schließlich keine leichte Aufgabe und tun ihr Bestes, "ein Spiel in den Leitplanken zu halten".

Wie man sich täuschen kann

"Schiedsrichter spielen" durfte das Publikum während des interaktiven Vortrags von Lutz Wagner. Der ehemalige Bundesligareferee (197 Spiele) ist mittlerweile leitender Koordinator für Regelauslegung beim DFB sowie Leiter der Nachwuchs- und Talentförderung in Deutschland. In Igersheim demonstrierte Wagner nun, wie schwierig es ist, in Sekundenschnelle richtige Entscheidungen zu treffen. Dem Publikum wurden verschiedene Fußballszenen vorgespielt, und jeder sollte direkt danach entscheiden, ob zum Beispiel ein Foul vorliegt und ob eine gelbe oder eine rote Karte angebracht sei. Der erfahrene Schiedsrichter wählte seine Fallbeispiele so, dass die erste Perspektive meist einen trügerischen Eindruck beim Zuschauer hinterließ. Bei einer auf den ersten Blick brutalen Grätsche zeigte sich in einer anderen Kameraeinstellung, dass eigentlich nur der Ball gespielt wurde. Für Erheiterung sorgte eine Szene mit einem vermeintlichen Ellenbogencheck. Hier wurde bei genauerem Hinsehen klar, dass sich das "Opfer" den Arm des Gegenspielers selbst ins Gesicht geschlagen hatte. Auf diese Art führte Wagner die "Hobbyreferees" häufig aufs Glatteis und zeigte, wie kompliziert die Entscheidungsfindung manchmal sein kann. Ein guter Schiedsrichter, besonders ein Videoassistent, müsse daher immer verschiedene Perspektiven betrachten und dürfe nicht zu voreilig Schlüsse ziehen. Für das Publikum war es interessant zu sehen, wie mehrere Kameraeinstellungen eine Szene komplett unterschiedlich abbilden. So war es gut nachzuvollziehen, dass ein Schiedsrichter auf dem Feld, der eine Aktion nur einmal und nur aus einem Winkel sieht, oft eine andere Wahrnehmung hat, als der Fernseh-Zuschauer.


Das Publikum entschied mit gelben und roten Karten über Fußball-Szenen, die Lutz Wagner aus unterschiedlichen Kameraeinstellungen abspielte, Bild von Corvin Schmid (FN)